Vortrag Dr. Kreutzberger

"Die moderne Angst des Westens vor der "Gelben Gefahr"

Mittwoch, 21. Juni 2023, 18 Uhr


Vortragsthema

Chinas erneuter wirtschaftlicher Aufstieg zu einer globalen Wirtschaftsmacht ist historisch  einzigartig. Nach Ende des „Kalten Krieges“ schien China fuer den Westen ein dankbarer und konstruktiver Partner zu sein, willens die westliche Weltordnung und ihre institutionelle Architektur zu akzeptieren (Wandel durch Handel). Der global groesste Markt verleitete auslaendische Investoren gegen jede kaufmaennische Vorsicht sich existenzentscheidend zu exponieren. Nach dem Prinzip „Das schaffen wir schon.“ uebersahen westliche Politiker lange Zeit die Notwendigkeit der Entwicklung von Strategien, wie mit dem Wandel Chinas umzugehen sei.

 

Entsprechend unueberlegt antwortet der Westen auf den „China Traum“ von XI JinPing, der nicht nur Ansprueche Chinas als eine Weltmacht einfordert, sondern die Position als Nummer 1 auf Grundlage des chinesischen Entwicklungsweges beansprucht. Dieser Weg mit eigener internationaler Architektur und Wertevorstellung diene als Vorbild fuer die Entwicklung der Dritten Welt. Nunmehr wird China weniger als Freund und Partner sondern mehr als Wettbewerber und systemischer Konkurrent gesehen. Das Bild der „Gelben Gefahr“ liegt nicht fern.

 

Reagieren Politik, Medien und die Oeffentlichkeit des Westens durch China-Bashing vernuenftig und konstruktiv auf Chinas Wandel und Ansprueche? Sind Sanktionen, Behinderungen des weiteren Entwicklungsprozesses, geopolitische und militärische Gegenoffensiven, die Verringerung der wirtschaftlichen Abhängigkeit, die Vorhaltung fehlender westlicher Werte etc. geeignete Maßnahmen und Mittel für eine Verständigung zwischen China und dem Westen. Gibt es fuer Dialogforen keine Chance, oder kämen sie zu spät, und wer trägt dafür die Verantwortung.

Dieses sind die Kernfragen des Vortrages von Peter Kreutzberger.

Anschließend Diskussion mit dem Referenten.

 

Auszug aus der Zeitschrift "CHINA-HIRN"

 

RUMREISEN I Zhangjiakou / Von Peter Kreutzberger

26. JANUAR 2022 by WOLFGANG HIRN

Mitte der 90er Jahre habe ich beim Landeanflug auf Beijing eine Karawanserei, eine ummauerte Herberge an Karawanenstraßen, gesehen. Chinesische Mauern regten mein Interesse seit meinem Studium in China. Gemäß einer Karte aus den 50erJahren musste diese Karawanserei im Gebiet von Zhangjiakou liegen. Ich machte mich also auf den Weg. Meine erste Begegnung mit Zhangjiakou war rein privat und aus landeskundlichem Interesse. Ich habe den Ort später immer wieder besucht und entdeckte dabei seine lange Geschichte. Die Stadt galt als Bollwerk Beijings und Schutz vor nomadischen Beutezügen. Sie liegt auf der Scheide zwischen dem, was früher als „Inneres“ und „Äußeres“ China bezeichnet wurde, eine Grenze zwischen Zivilisation und Barbaren, Sicherheit und Gefahr, Ackerbau und nomadischem Grasland. Die Linie wurde durch die chinesische Mauer gezogen. In Zhangjiakou kann man deshalb Mauerruinen von zehn Staaten aus acht Dynastien finden – vom 4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung bis zum Jahr 1644. Die Mauern dienten aber nicht nur dem Schutz, sondern auch dem geregelten Austausch mit der Außenwelt. Der heute noch gebräuchliche mongolische Name der Stadt, Kalgan, heißt „das Tor“. Wer den Schlüssel zu diesem Tor hielt, beherrschte China. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden Chinas Luxuswaren von Zhangjiakou 1500 Kilometer nördlich zum russischen Handelsweg befördert. Dazu bedurfte es einer halben Million Kamele. Neben Seide und Porzellan wurden so auch 80 Prozent des in Europa, vor allem aber in Russland konsumierten Tees über Zhangjiakou gehandelt. Chinesische Kaufleute, Väter des modernen chinesischen Bankwesens, häufig aus der Provinz Shanxi, ließen sich in Zhangjiakou mit Bank- und Handelshäusern nieder, die Filialen in Moskau, Berlin, Paris, London sowie Tokio unterhielten. Sie wurden die reichsten Geschäftspersonen des kaiserlichen Chinas. Aber im 20. Jahrhundert wurden die Stadt und die Region zu einem Armenhaus. Im Zwist mit der Sowjetunion in den 1960er Jahren befürchtete China einen „sozialimperialistischen Angriff“ und schuf in Zhangjiakou eine militärische Bastion zur Verteidigung Beijings. Stadt und Präfektur verschwanden aus den Reiseführern Chinas, die wirtschaftliche Entwicklung kam zum Erliegen, die Region war für Ausländer gesperrt. Zhangjiakou partizipierte von 1978 bis in die 1990er Jahre nicht an der chinesischen Reform- und Öffnungspolitik. Der Name war nicht nur Ausländern, sondern meist auch Chinesen unbekannt. Doch das ändert sich nun durch die Olympischen Winterspiele. Die Führung der Präfektur sieht darin eine einmalige Chance, die künftige Entwicklung nachhaltig, umwelt- und menschengerecht zu gestalten. Der Slogan lautet: „Die Winterolympiade wird Zhangjiakou wieder auf die Weltkarte zurückführen.“Der Ausbau des Autobahnnetzes sowie die Fertigstellung einer Bahnverbindung für Hochgeschwindigkeitszüge verkürzt die Fahrzeit zwischen Zhangjiakou und dem Zusammenschluss Beijing-Tianjin-Hebei zeitlich um 75 Prozent. Das ist nicht nur gut für Pendler aus Beijing, sondern auch für ausgebildete Arbeitskräfte, die in Zhangjiakou Fuß fassen und in den dort entstehenden Instituten zur Forschung und Entwicklung, in Zweigstellen von Universitäten und in Hochtechnologiebranchen arbeiten wollen. Weitere Schwerpunkte der Wirtschaftsentwicklung sind die Ökologisierung der Bergbau- und Maschinenbauindustrie, die Nutzung der reichen Sonnen- und Windressourcen sowie der Aufbau von Chinas größtem Wasserstoffcluster. Zudem verfügt die Präfektur bereits über eine ökologische Agrarwirtschaft und ist eine der wichtigen Weinproduzenten Chinas. Und auch der Tourismus soll angekurbelt werden. China ist zwar bislang kein Ort mit wintersportlicher Tradition, in der Förderung von Winteraktivitäten sieht die Zentralregierung jedoch ein großes und für Zhangjiakou mit das größte Entwicklungspotential. Das Potential an touristischen Attraktionen ist in Zhangjiakou neben Wintersport, Wein und einer Vorgartenstadt von Beijing groß und bislang nur wenig ausgebaut.Es gibt zahlreiche Mauerruinen mit Militärbefestigungen und Wehrburgen. Darunter stammen einige noch aus der Zeit vor der großen Mauer und bringen uns mit imponierenden Erdwällen noch nach 6000 Jahren zum Erstaunen. Hier sollen mythologische Schlachten zwischen den Gründern der chinesischen Nation gefochten worden sein.Zhangjiakou ist voller verschiedenartiger Volkskultur, sowohl im Kulinarischen wie auch in Feierlichkeiten. Im Grasland, das zum Wohnen in Jurten und Reitausflügen einlädt, finden Musikfeste statt. Zum Chinesischen Neujahr sieht man vielerorts verkleidete Dorfbewohner, die auf Holzstelzen den chinesischen Klassiker „Reise in den Westen“ nachahmen.

*Peter Kreutzberger war über 30 Jahre im Auswärtigen Dienst tätig, davon 17 Jahre in China. Zuletzt war er Generalkonsul in Shenyang. Nach seiner Pensionierung lebt er in Berlin. Er ist Mitautor der 2016 erschienen Veröffentlichung „Zhangjiakou in the Eyes of Foreigners“.

Auszug aus der Zeitschrift "CHINA_HIRN

 

OLD and YOUNG CHINA HAND: Peter Kreutzberger

18. SEPTEMBER 2020 by WOLFGANG HIRN

China Hands wurden im 19. Jahrhundert die wenigen Ausländer genannt, die sich in China auskannten, dessen Sprache und Kultur verstanden- oder zumindest so taten. Später wurden daraus Old China Hands, Leute mit 20 oder von mehr Jahren Erfahrung im Reich der Mitte. Es gibt aber auch zunehmend junge Leute, die sich intensiv mit China beschäftigen, die aber oft nicht zu Wort kommen. Deshalb werde ich neben Old China Hands auch Young China Hands vorstellen – auch wenn letzteres per definitionem ein Widerspruch ist. Heute wird eine very Old China Hand vorgestellt: Peter Kreutzberger

   Kein deutscher Diplomat war wohl länger in China als Peter Kreutzberger. Rund 17 Jahre war er in Shanghai, Beijing und zuletzt Shenyang auf Posten. Studien und Urlaub addiert, hat der heute 67jährige Kreutzberger rund 20 Jahre seines Lebens in China verbracht. Wer so viel erlebt hat, kann auch viel erzählen. Und das tut Kreutzberger. Vier Stunden saßen wir an einem Spätsommernachmittag im Teehaus im Englischen Garten in Berlin (Psst! Ist ein Geheimtipp!) und tranken keinen Tee.

    Seinen ersten Kontakt mit China hatte er bereits in ganz jungen Jahren. In Dearborn in den USA, wo sein Vater, ein Chemiker, bei Ford arbeitete. In der Nachbarschaft wohnte eine chinesische Familie, die eine Tochter in seinem Alter hatte: Anna Sui (sie ist heute eine der berühmtesten Modedesignerinnen Amerikas). Bei Anna zuhause roch es anders (Sojasauce!), dort erzählten sie Geschichten aus China, dort lernte er seine ersten Schriftzeichen – die Zahlen von eins bis zehn. Kreutzberger traf Anna erst nach fast 50 Jahren während der EXPO 2010 in Shanghai wieder. China aber begleitete ihn weiter, denn nach dem Abitur in Münster, wohin seine Eltern umgezogen waren, studierte er an der Westfälischen Wilhelms-Universität Volkswirtschaft (Diplom), Publizistik (Magister) und klassische Sinologie in den Jahren der auslaufenden Kulturrevolution und der Viererbande. Lehrstuhlinhaber für Sinologie war dort der legendäre Ulrich Unger.

     Im September 1980 ging es mit einem DAAD-Stipendium nach China, nachdem Kreutzberger zuvor noch in zwei Semestern an der Universität Hamburg die Basis des modernen Chinesisch erlernt hatte. In China erweiterte er erst in Beijing sechs Monate lang seine Sprachkenntnisse, ehe er hernach eineinhalb Jahre an der Universität Nanjing seinen ersten Anlauf zu einer Dissertation unternahm, damals zum Thema „Wertgesetz unter dem Sozialismus“, den er aber wegen Zeitmangel nach seinem  Berufseinstieg abbrach (Erst 2001 gelang ihm im vierten Anlauf die Promotion, und zwar an der Tongji Universität zum Thema „Chancen und Risiken für deutsche Mittelständler in China zu investieren“.)

       Mit Studieren war Anfang der 80er Jahre nicht viel in China, meint Kreutzberger, denn Forschung, Lehre und Verwaltung der Universitäten waren weiterhin geprägt von den politischen Wirren vor 1978. Noch heute aber profitiert Kreutzberger davon, dass er den China-Aufenthalt damals nutzte, so viel wie möglich von dem sich gerade wieder öffnenden Land zu sehen. Viele Orte waren für Ausländer gesperrt. Man benötigte eine Reisegenehmigung. Kreutzberger lernte damals nicht nur die chinesische Bürokratie kennen, sondern auch mit ihr um zu gehen.

      1982 kam er zurück. Was nun? China wollte er schon irgendwie treu bleiben. Hans Stumpfeldt, noch so ein legendärer Sinologe an der Uni Hamburg, schickte ihn zur Deutschen Bank. Die hätten Ambitionen Richtung China.  Kreutzberger durchlief ein Trainee-Programm: „Ich habe dort lebens- und berufspraktisch mehr gelernt als in der Schule, den Universitäten und in der späteren Ausbildung des Auswärtigen Amtes (AA).“ In kurzer Zeit stieg er zum stellvertretenden Leiter der Aussenfinanzierung der Deutschen Bank Filiale Hamburg auf. „Da musste man die Nullen vor dem Komma genau prüfen.“ Allerdings erfüllte sich sein Wunsch nicht, beim Aufbau der Beiiinger Filiale mitzuwirken.

     In seiner WG erzählte jemand vom diplomatischen Dienst. Er bewarb sich. „Ich war der erste, der Chinesisch konnte, aber kein Französisch.“ Gerade noch so rutschte er rein. Nach Stationen in der Wirtschafts- und Europaabteilung des Auswärtigen Amtes (AA) und seinem ersten Auslandsposten in Nepals Hauptstadt Kathmandu war es dann 1994 endlich soweit: Er durfte zum ersten Mal als Diplomat nach China. In Beijing wurde er stellvertretender, später Chef der Handelsförderungsstelle, die damals in der alten DDR-Botschaft saß.  „Die vier Jahre dort haben mir viel Spaß gemacht“, sagt Kreutzberger heute.

Danach war er im AA zuständig für EU-Agrarpolitik, der Tiefpunkt seiner Karriere. „In drei Jahren habe ich nur eine vernünftige Vorlage geschrieben, scheiterte damit, weil man meinem Urteil nicht traute. Als die Katastrophe dann reinbrach, hatte ich zumindest meinen Kopf und Kragen gerettet.“ Es folgten Stationen in Paris (OECD, „interessante Menschen, gut für meine Dissertation, historisch überholt“) und Berlin (BDI-Austauschprogramm, „hervorragend in sich und ersparte mir erneut die Zentrale“).

   2005 ging es dann für den Rest seiner diplomatischen Laufbahn nach China. Zunächst als Stellvertreter des Generalkonsuls in die Glitzermetropole Shanghai. Im Kontrast betreute er dort aber auch vom AA finanzierte Kleinstprojekte (Armutsbekämpfung, Frauengleichstellung, Umweltschutz), die ihn in die Provinz Anhui führten: „Solchen Lebensbedingungen war ich in China bis dahin auch nicht begegnet.“ Für den deutschen Auftritt auf der EXPO 2010 versah Kreutzberger einen leitenden protokollarischen Posten, was seinen Shanghai-Einsatz auf ungewöhnliche fünfeinhalb Jahre verlängerte.

     Im obligatorischen Gespräch mit der Personalabteilung des AA während des Heimaturlaubes kurz vor Weihnachten 2010 wurde ihm die Stelle als Stellvertreter der Wirtschaftsabteilung an der Botschaft Beijing angeboten – nicht sein Wunschposten, allerdings außergewöhnlich erneut China.

Ihm war klar: „Wenn ich da Nein sage, ist meine China-Karriere vorbei.“ Er sagte Ja.

      In den vier Jahren dort schielte er auf seinen nächsten und letzten diplomatischen Einsatz und hatte stets Shenyang im Auge. Dort hat Deutschland seit 2011 ein Generalkonsulat. „Shenyang galt als dreckig und uninteressante Industriestadt“, sagt Kreutzberger, „und nach Nowosibirsk und Ulan-Bator als die kälteste Außenvertretung.“ Das schreckte ihn nicht ab. 2015 wurde er dort Generalkonsul – und siehe da: „Shenyang ist eine moderne Stadt mit toller Kultur.“ Höhepunkt war der Kanzlerin-Besuch im Juni 2016. Dazu muss man wissen: BMW produziert in Shenyang.

    Seit 1. Juli 2018 ist Kreutzberger nun im Ruhestand und lebt wie viele ehemalige Diplomaten in Berlin. Aber China beschäftigt ihn weiter. Derzeit arbeitet er an einem Buch über Dongbei, den Nordosten Chinas.   

Das Resümee seiner ungewöhnlichen Karriere zieht er selbst: „Nicht nur der außergewöhnlich lange China-Einsatz, sondern in fast 40 Jahren AA nur vier Jahre in der Zentrale ist rekordverdächtig. Darunter litt zwar der Karriereaufstieg. Da ich aber überwiegend das bekam, was ich wollte, sehe ich das gelassen.“